Müde vom Rauschen.
Später Nachmittag. Die Sonne stand tief über den Feldern, ihr Licht fiel schräg durch die Fenster – so, als wolle es bleiben. Die Luft draußen war warm. Still. Voller Versprechen. Kein Ton, der wirklich störte. Nur das entfernte Summen eines Traktors, vielleicht irgendwo hinter den Hügeln. Zwischen Meschede und Eversberg lagen die Dörfer wie aus der Zeit gefallen. Der Asphalt flimmerte schon leicht, die Bäume warfen lange Schatten. In den Gärten blühten Tulpen und Narzissen, manchmal noch zaghaft, als müssten sie sich vergewissern, dass es wirklich vorbei war – der Winter, das Warten, das Dunkle. Ein Hund lag im Gras, dösend, den Kopf auf den Pfoten. Neben ihm ein alter Holzstuhl und ein Tisch, auf dem eine Kaffeetasse stand – halb leer, lauwarm. Es roch nach frisch geschnittenem Holz und nach Erde, die gerade erst wieder zu atmen begonnen hatte. Aus einem offenen Fenster wehte das Klirren von Besteck. Irgendwo schlug eine Tür zu. Dann war wieder alles ruhig. So ruhig, dass man den Flügelschlag einer Taube hörte. Und den Wind, der durch das junge Laub fuhr – als würde er eine Geschichte erzählen, die nur der Mai kennt. Als wüsste er: Jetzt beginnt etwas. Ganz langsam, ganz leise. Aber es beginnt.
Der letzte Eintrag hier ist lange her. Vielleicht so lange, dass man glauben könnte, dazwischen habe ein ganzes, anderes Leben stattgefunden. Eines, das voller Wende- und Höhepunkte war, voller Ereignisse, die ich erzählen müsste. Aber das stimmt nicht. Es ist nichts passiert. Und gleichzeitig alles. Die Tage kamen und gingen. Sie fielen ineinander wie Blätter, die sich im Herbst vom Baum lösen und einfach liegen bleiben. Nicht aus Traurigkeit. Nicht aus Müdigkeit. Sondern weil es an der Zeit ist. Ich habe nichts gewonnen. Nichts erreicht, was ich vorzeigen könnte. Ich habe keinen Applaus bekommen, keine Geschichte, mit der ich Eindruck machen könnte. Aber irgendwann, mitten in einem dieser stillen Nachmittage, habe ich einfach aufgehört, etwas sein zu wollen.
Es war kein Entschluss. Kein Gedanke, den ich bewusst gefasst hätte. Es war eher ein Verblassen. Ein Leiserwerden. Und vielleicht genau deshalb ein Ankommen. Ich muss mich nicht mehr erklären. Ich muss nicht glänzen. Nicht mitspielen. Nicht mithalten. Ich darf hier sein, einfach so. Es gab Morgende mit dampfendem Kaffee und einem Hund, der in der Tür stand und dem Wind lauschte. Es gab Abende, an denen der Himmel so klar war, dass man meinte, die Sterne hätten einen eigenen Klang. Und dazwischen lagen Wege, Felder, Stille. Und das friedliche Gefühl, dass das, was nicht geschieht, auch eine Geschichte sein kann. Jetzt kommt der Mai. Und vielleicht ist genau jetzt der richtige Moment, um wieder mit dem Erzählen zu beginnen.
Ich glaube, ich war müde vom Rauschen. Oder ich bin es. Von diesem ständigen Senden und Sehen, vom Tippen und Scrollen. Von dem Gefühl, dass man sichtbar sein muss, um zu existieren. Dieses dauernde Flimmern, dieses Immer-da-sein-müssen. Vielleicht habe ich angefangen, ganz langsam, fast unmerklich, mich zurückzuziehen. Und irgendwann habe ich gemerkt: Ich vermisse nichts. Kein Like, kein Reel, kein Algorithmus, der entscheidet, ob etwas bleibt oder Relevanz hat. Ich habe nichts verpasst. Keine Nachricht, die mir gefehlt hätte. Kein Trend, den ich vermisse. Nur Zeit gewonnen. Und das Gefühl, dass die Welt auch dann da ist, wenn niemand sie filmt.
Manchmal sitze ich einfach nur draußen. Auf der alten Holzbank weit hinter dem Dorf. Die ist schon ganz grau geworden vom Wetter. Ich trinke dort Kaffee, der längst kalt ist. Schaue dem Hund zu, wie er im Gras liegt. Ganz still, den Kopf auf die Pfoten gelegt, die Ohren wachsam. Manchmal sehe ich einen Zitronenfalter. Einfach so. Wie er auf dem Kiesweg tanzt, als hätte er nie etwas anderes getan. Ich denke nicht viel in diesen Momenten. Aber immer öfter denke ich: Das reicht.
Ich möchte wieder öfter draußen sein. Einfach. Ohne Ziel. Ohne Plan. Ich möchte wieder warten können. Auf das Licht. Auf das Wild. Auf den Moment, in dem nichts passiert und der so genau ist. Ich weiß, da sind Bremsen. Zecken. Mücken. Manchmal Schlamm. Aber da ist auch der Fuchs, der früh am Morgen über den Acker zieht. Der Bussard, der in der Thermik steht. Da ist das Knacken der Äste im Wald. Und der Atem, der sich in der Kühle des Morgens zeigt. Und all das, ich weiß es genau, genügt. Ich habe keinen großen Plan mehr. Keine großen Absichten. Nur eine Ahnung davon, dass es gut ist, wieder zu erzählen. Von den kleinen Dingen. Still. Langsam. Mit Pausen. Und vielleicht beginnt alles damit.