Und vielleicht beginnt alles Neue leise. Mit einem Atemzug. Mit dem Mut, nicht zurückzusehen.

TEST

Halbzeit.

Torsten Luttmann

Die Hitze liegt schwer auf den Dächern der Vorstadtsiedlung. Draußen summen die Insekten, als hätten sie nichts anderes zu tun, als diesen Tag noch träger zu machen. Das Licht fällt grell durch das Fenster, zieht Linien auf den Boden, die sich über Talkos Fell legen. Er liegt am Rand des Raums, dort, wo die Fliesen noch kühl sind. Ganz still und müde. Nur die Ohren zucken manchmal. Ein Auto hupt. Vielleicht war es ein Abschied. Vielleicht auch nur Ungeduld. Ich weiß es nicht. Die Straße liegt flimmernd unter der Sonne, und irgendwo mäht jemand Rasen, obwohl das Gras längst matt und träge wirkt. Die Zeit um mich herum dehnt sich, will nicht weiter, will scheinbar bleiben. Und doch schiebt sie sich wie ein träger Fluss durch den Tag. Es ist Juli. Hochsommer. Meine Tage wirken schwer wie Honig, voller Licht und dennoch flüchtig. Und während draußen alles hell ist, tauchen im Innern Bilder auf, die längst vergangen sind. Erinnerungen, die ein Jahr alt sind. Vielleicht älter. Sie kommen nicht zurück. Auch wenn sie sich manchmal so nah anfühlen, dass ich schwören könnte, sie würden gleich wieder passieren. Sie tun es nicht.

Die erste Hälfte des Jahres ist vorbei. Halbzeit. Die Tage, die Wochen, die Monate, sie sind durch mich hindurchgezogen wie Wind, der durch ein offenes Fenster weht. Ich sehe es an den Kalenderblättern, an den kleinen Haken auf den Aufgabenlisten, an der Kaffeetasse, die ich jeden Morgen an denselben Platz stelle. An den Menschen, die gekommen sind und wieder verschwanden. Und obwohl alles wie immer wirkt, die Abläufe, die Termine, der Gang zur Kaffeemaschine, die Nachrichten im Posteingang, ist nichts mehr wie es vorher war. Alles bewegt sich. Die Zeit läuft, und alles um sie herum verändert sich. Manchmal unmerklich. Und manchmal mit einer Wucht, die einen trifft.

Früher habe ich gefragt, warum dieses oder jenes so geschehen ist. Heute frage ich nicht mehr. Heute sitzt das Egal neben mir wie ein alter Freund, mit dem man nichts besprechen muss. Es schweigt. Erwartet nichts. Es ist einfach da und hilft. Blicke ich zurück, kann ich keinen Moment benennen, der herausragt. Kein Gespräch, das geblieben ist. Kein Tag, der leuchtet. Aber vielleicht musste es genau so sein. Vielleicht brauchte es dieses leise Nebeneinander von Tagen, damit das Jetzt entstehen konnte. Und wenn ich dem Januar etwas sagen müsste, ich würde sagen: Lass los. Es ist okay. Du kannst es eh nicht halten. Egal, was du machst.

Ich merke, dass sich etwas verändert. In mir. Nicht greifbar. Aber echt. Ich bin stiller geworden. Weniger unterwegs, weniger im Außen, mehr bei mir. Ich schließe die Jalousien, bevor die Sonne zu heiß brennt. Ich arbeite meine Listen ab. Ich atme tiefer. Nicht, weil alles leichter geworden ist, sondern weil ich aufgehört habe, dagegen anzukämpfen. Der Zwang, jemanden halten zu wollen, ist verschwunden. Vielleicht, weil ich erkannt habe, dass echte Nähe nicht durch Festhalten entsteht. Und dass alles, was gehen will, ohnehin verschwindet, egal, wie sehr man sich dagegen stemmt oder was man macht. Der Drang, mich zu beweisen, existiert nicht mehr. Ich muss niemandem mehr etwas zeigen. Keine Erfolge vorweisen, keine Geschichten schöner erzählen, als sie wirklich waren. Es reicht, dass ich da bin. Und dass ich weitermache. Was bleibt, bleibt. Nicht, weil ich es festhalte, sondern weil es von sich aus bleiben will. Was geht, das geht. Und das darf es auch.

Irgendwie spüre ich, dass sich etwas vorbereitet. Etwas, das nicht laut ist, aber deutlich. Es zeigt sich nicht nur in den großen Entscheidungen, sondern vor allem in den kleinen Bewegungen. In Sätzen, die klarer werden. In Gedanken, die nicht mehr im Kreis laufen. Ich lasse viel los. Nicht mit Wut, nicht im Groll sondern leise. So, wie man etwas zur Seite legt, weil man es zu lange getragen hat. Weil es nicht mehr passt. Und während ich weitergehe, verändert sich etwas. Vielleicht noch nicht sichtbar, aber spürbar. In mir. Um mich herum. Vielleicht kommen neue Menschen in mein Leben. Vielleicht ergeben sich neue Wege. Vielleicht mehr Raum oder andere Räume. Ich weiß nicht genau, was kommt. Und ich muss es auch nicht wissen. Und am Ende zählt auch nie der Weg, den man schon gegangen ist, sondern immer nur der Schritt, der als Nächstes kommt. Und den gehe ich. Leise. Wach. Schritt für Schritt. Und bereit. Vielleicht weil hier genau das beginnt, was als Nächstes geschieht.