Der 1. Advent.

Die Kerze flackerte leise, ihr Licht zitterte über die Wände wie ein stiller Atemzug. Es war der erste Advent, und der Duft von Tannenzweigen und Wachs füllte den Raum. Draußen lag eine Ruhe, die fast greifbar war – eine Stille, in der selbst die kleinsten Geräusche eine Bedeutung trugen. Die Straße vor dem Haus war leer, kein Auto, kein Schritt, nur die leise Melodie eines entfernten Glockenspiels, das von einem Turm irgendwo in der Ferne erklang. Eine Katze schlich über den Gartenzaun, hinterließ keine Spuren, bevor sie im Schatten verschwand. In den Fenstern der Nachbarn glühten Lichterketten wie ein stilles Versprechen von Ankunft und Frieden. Drinnen stand ein kleiner Adventskranz auf dem kleinen Küchentisch. Vier Kerzen, aber nur die erste brannte. Ihr Licht spiegelte sich auf der Oberfläche einer dampfenden Tasse Tee. Daneben lag ein Buch, dessen Seiten offenlagen, als würde die Geschichte darin nur darauf warten, gelesen zu werden. Die Zeit schien stillzustehen, als ob die Welt nur diesen Sonntag brauchte, um zu sich zu kommen. Und irgendwo im Treppenhaus, ganz leise, summte jemand ein Weihnachtslied, das nach Erinnerung klang.

Der Nachmittag war vergangen, leise und unbemerkt, wie eine letzte Atemwolke in der kalten Luft. In der Dämmerung begann die Weihnachtsbeleuchtung zu leuchten. Abseits der Stadt, fern von den ständigen Geräuschen, hatte sich die Stille eines endenden Tages auf die Felder und Wälder gelegt. Der Himmel war ein tiefes Blau, das sich langsam in die Dunkelheit zurückzog. Doch in den engen Gassen der Stadt war von dieser Ruhe nichts zu spüren. Menschen drängten sich dicht an dicht, ihre Stimmen mischten sich zu einem Summen, das die Kälte zu vertreiben schien. Kleine Holzbuden reihten sich aneinander, schlicht gezimmert und doch reich geschmückt, mit Lichtern, die wie kleine Sterne an den Dachüberständen hingen. Es roch nach gebrannten Mandeln, nach der salzigen Wärme von Bratwurst und nach dem süßen, berauschenden Duft von Glühwein, der schwer in der Luft lag, die Sinne einhüllte und die meisten Menschen in seinen Bann zog.

Die Weihnachtszeit hatte begonnen, mit all ihren Verheißungen und ihrem Widerspruch. Einige ließen sich von ihrer Leichtigkeit tragen, gingen langsam von Stand zu Stand, hielten inne, um das warme Licht der Kerzen oder die kunstvoll geschnitzten Weihnachtsfiguren zu bestaunen. Sie wirkten, als hätten sie begriffen, dass das Fest nichts weiter war als eine Einladung, kurz anzuhalten und die Dunkelheit des Winters zu vergessen. Andere jedoch schienen von einer anderen Energie getrieben. Sie hetzten durch die Menge, in Gedanken schon bei den Listen, die noch abgearbeitet werden mussten. Ihr Blick war suchend, kalkulierend. Für sie war Weihnachten kein Moment der Stille, sondern ein Projekt, eine Aufgabe, die es zu meistern galt. Es musste perfekt werden, so glaubten sie – als hinge das Gelingen des Festes von der Genauigkeit ihrer Planung ab.

Und doch, inmitten dieses Trubels, war da ein seltsames Gleichgewicht. Ein stiller Glaube, dass beides scheinbar ein Teil des Weihnachtsfestes war: das Streben nach bestmöglicher Perfektion und die tiefe Sehnsucht nach Einfachheit und Ruhe. Vielleicht, so dachte ich, lag die wahre Magie genau dazwischen, in einem Augenblick, der weder geplant noch erzwungen war. In einem Atemzug, der nach Tannenzweigen und süßem Wein roch, während die Lichter leise in der Dunkelheit schimmerten.

Ich mag Weihnachten.

Weihnachten. Ich mochte es immer, von Kindesbeinen an. Es ist ein Fest, das für mich eine ganz eigene Magie besitzt – eine, die ich vielleicht nie ganz begreifen konnte und vielleicht auch nie begreifen werde. Obwohl ich katholisch aufgewachsen bin, fühlte ich nie, dass Weihnachten ausschließlich der Kirche gehört. Natürlich, für viele ist es genau das: die Geburt des Erlösers, die Ankunft des Herrn. Und das ist gut so. Jeder darf glauben, was er möchte. Aber für mich war Weihnachten immer mehr als ein kirchliches Ritual, mehr als eine fromme Erzählung aus einer weit entfernten Zeit.

Weihnachten ist für mich ein Fest der Vorfreude, aber auch der Einkehr. Es ist ein Innehalten, ein Ankommen. Gleichzeitig ist es ein Ende, ein Abschluss dessen, was war. In diesen Tagen lasse ich los. Ich schließe ab, ganz für mich, ohne Worte. Manchmal, in den späten Stunden eines langen Abends, bitte ich um Verzeihung – nicht laut, sondern im Stillen, so wie man vielleicht in den Himmel schaut, zu den Sternen, und ein leises Gebet flüstert. Und ich verzeihe selbst, auch das ganz leise, für mich, fast unbemerkt.

An Weihnachten neigt sich für mich das Jahr dem Ende zu. Und mit ihm all die Momente, die es gefüllt haben. Es ist, als würde eine unsichtbare Linie gezogen, ein Schnitt, der das Alte vom Neuen trennt. Die Geschichten, die begonnen haben, die Fehler, die gemacht wurden, die Erfolge, die gefeiert wurden – all das bleibt hinter dieser Linie zurück. Ein Schlussstrich, der nicht schmerzt, sondern befreit. Und vor mir liegt der Beginn von etwas Neuem, das noch ungeschrieben ist. Weihnachten ist für mich genau das: ein Fest der Vergebung, der Hoffnung und der Möglichkeit, neu zu beginnen. Es ist ein stiller Moment, in dem die Welt den Atem anhält und ich spüre, dass es für mich genau so sein soll.

Es war schon immer so.

Natürlich habe ich mich als Kind auf die Bescherung gefreut. Es wäre seltsam gewesen, wenn es anders gewesen wäre. Doch heute, mit einigem Abstand und den Jahrzehnten, die inzwischen vergangen sind, denke ich selten an die Geschenke. Ich denke nicht an die Päckchen, die ich mit aufgeregten Händen öffnete, nicht an das, was darin zu finden war. Stattdessen erinnere ich mich an die Vorfreude. An den Zauber, der die Tage vor Weihnachten umgab, und an die leise Spannung, die das Fest mit sich brachte. Es war nicht das Greifbare, das mich damals begeisterte, sondern das Unausgesprochene, das in der Luft lag.

Ich erinnere mich zum Beispiel an die Geschichten, die mir erzählt wurden. Eine davon war, dass die Tiere in der Nacht vom Heiligen Abend auf den ersten Weihnachtstag in Menschensprache sprechen könnten. Es war eine dieser Erzählungen, die ich als Kind nie infrage stellte. Sie war einfach wahr, weil sie schön war. Ich erinnere mich daran, wie ich eines Abends leise in den Stall schlich, vorsichtig, um die Ferkel nicht zu stören, die damals im Stroh bei ihrer Mutter lagen. Ich wartete darauf, dass sie zu sprechen begannen, dass sie Geschichten erzählten, die ich verstehen konnte. Natürlich taten sie es nie. Ich hörte nur das leise Schnauben und spürte die Wärme der Tiere im Stall. Aber ich erinnere mich, wie ich mir selbst Geschichten ausdachte, dort im Halbdunkel, als wäre ich Teil eines Märchens, das nur in jener Nacht existierte. Ich erinnere mich auch an die frostkalten Nächte, die um Weihnachten herum zum Alltag gehörten. Nächte, in denen der Himmel klar war, so klar, dass es fast schmerzte, ihn anzusehen. Hinter unserem Haus, unweit des Treckerschuppens, stand ich oft allein in der Dunkelheit, blickte nach oben und suchte die Sterne, die damals heller zu leuchten schienen. Der Nachthimmel war unendlich, und ich fühlte mich klein, aber niemals verloren.

Einmal, es war eine dieser Nächte, als der Frost den Boden hart wie Stein gemacht hatte, lief ich über das Feld hinter unserem Haus. Der Schnee bedeckte alles, und der Vollmond tauchte die Landschaft in ein Licht, das nicht von dieser Welt zu sein schien. Es war still, so still, dass das Knirschen meiner Schritte wie ein Echo im Kopf blieb. Aber ich war nicht allein. Zenta, unser Hund, lief mit mir über den Acker. Sie sprang durch den Schnee, ihr Atem bildete kleine Wolken, die sich in der Kälte auflösten.

Es sind diese Erinnerungen, die bleiben. Nicht das, was ich ausgepackt habe, sondern das, was ich gefühlt habe. Die Geschichten, die ich gehört habe, und die, die ich mir selbst erzählt habe. Der Zauber von Weihnachten war für mich nie in den Geschenken versteckt. Er lag immer in den Momenten dazwischen, in der Stille, in der Kälte, in den Dingen, die unsichtbar blieben und trotzdem alles bedeuteten. Allerdings musste ich erst älter werden, um das wirklich zu begreifen.

Alles ist richtig, alles stimmt.

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte dieses Gefühl von damals nach außen tragen. Dieses Gefühl von Frieden, von Stille und einer Ruhe, die mit dem Weihnachtsfest für mich untrennbar verbunden ist. Doch diese Ruhe hat es schwer in einer Welt, die immer lauter wird. Die Stimmen der Medien, die unermüdlichen Rufe nach mehr Konsum und die endlosen Bilder, die uns zeigen, wie Weihnachten auszusehen hat, übertönen alles. Sie schreien so laut, dass die eigentliche Stille des Festes kaum noch zu hören ist. Weihnachten, wie es die Welt malt, ist ein Schaukasten der Perfektion. Es sind Bilder von makellosen Weihnachtsbäumen, die so perfekt wirken, als seien sie direkt einem Märchen entsprungen. Kein Nadeln, keine schiefen Kugeln. Jedes Licht in genau dem richtigen Abstand, jede Schleife ein kleines Meisterwerk. Und darunter Geschenke, so zahlreich und kunstvoll verpackt, dass sie wie Requisiten eines Werbespots wirken.

Die Menschen auf diesen Bildern lachen und lächeln alle. Immer. Es ist ein Lächeln, das mir selbst so glatt erscheint, als hätten sie Stunden in einer Maske verbracht, die sie nur auf diesen Moment vorbereitet hat. Natürlich gibt es keinen Streit, keine Spannungen, keine hochgezogenen Augenbrauen, wenn das Fleisch zu trocken ist oder Onkel und Tanten zu viele komische Bemerkungen machen. Die Geschenke, die es gibt, sind selbstverständlich alle perfekt. Es gibt keine Enttäuschungen, kein gequältes „Wie nett“, keine missmutigen Blicke. Alles ist richtig, alles stimmt.

Doch in dieser Perfektion liegt immer auch eine seltsame Leere. Es ist ein Schweigen, das wie ein Schleier über allem liegt – das Schweigen einer inszenierten Harmonie. Es ist die Stille eines Festes, das die Realität ausgeschlossen hat, weil sie nicht in dieses Bild passt. Niemand spricht über dieses Schweigen. Niemand traut sich, die Illusion zu durchbrechen, die sich immer irgendwie auch wie ein Bühnenstück anfühlt. Manchmal sehe ich diese inszenierten Weihnachtsfeste und frage mich, wie wir so weit kommen konnten. Warum malen wir ein Fest, das vor allem eines sein soll – echt – und ersetzen es durch ein hochpoliertes, glänzendes Schaufenster? Warum ist es uns wichtiger, wie Weihnachten nach außen hin aussieht, als wie es sich anfühlt?

Das Fest, wie es meiner Meinung nach sein könnte, ist leise. Es ist unperfekt. Ein Baum, der nadelt, Kugeln, die ein wenig schief hängen. Es ist ein Fest, bei dem jemand über einen misslungenen Braten lacht, bei dem Geschenke nicht in makellosem Papier stecken und bei dem ein einfaches „Danke“ mehr Bedeutung hat als alles andere. Es ist ein Moment, in dem man sich spüren kann – und die anderen Menschen um sich herum. Keine Maske, kein Bühnenstück, kein Preis für die besten und teuersten Geschenke. Es ist einfach nur Weihnachten, so wie es wirklich ist oder wie es sein sollte.